Der notwendige Ausgleich von Stoff- und Energiebilanzen erfordert es, Logistik ganzheitlich zu verstehen und zu gestalten. Logistik muss sich vom Erfüllungsgehilfen für Beschaffung, Produktion und Absatz zum Koordinator von Stoff- und Energieumwandlungen entwickeln (Energistik), um die sekundären menschlichen Bedürfnisse auf ähnlich effiziente Weise zu decken wie Organismen die primären Bedürfnisse. Die Energistik optimiert die Gewinnung, Umwandlung und Verwendung von Material und Energie, um einen umweltgerechten Austausch von Gütern und Dienstleistungen zu ermöglichen und gewährleisten. Primäre Bedürfnisse sind zur Arterhaltung notwendig und können dank der Evolution in einem dynamisch stabilen Gleichgewichtszustand gedeckt werden, weil Nahrungsmangel Auswüchse verhindert. Sekundäre Bedürfnisse (Luxus) von Menschen gehen darüber hinaus und können nicht nur den Gleichgewichtszustand, sondern dank technischer Erfindungen wie Dunstdünger oder Stromerzeugung auch den Ausgleichsmechanismus empfindlich stören.
Einleitung
Das weltweite Wachstum der Bevölkerung und ihrer Bedürfnisse belastet in zunehmendem Masse die Umwelt und führt mit Entwicklungen wie dem Klimawandel immer schneller und deutlicher vor Augen, dass die Menschheit durch Tempo und Ausmass des technischen Fortschritts die Anpassungsfähigkeit ihrer Umwelt mit ähnlichen Folgen wie bei Asteroideneinschlägen oder Vulkanausbrüchen dramatisch überfordert. Während fossile Energieträger in Jahrmillionen entstanden sind, werden sie innerhalb weniger Jahrzehnte verbraucht und bringen so das dynamische Gleichgewicht aus dem Tritt. Damit rücken Energiethemen immer drängender in den Vordergrund und werfen Fragen nach der Verantwortung von Produzenten, Händlern, Verbrauchern, Spediteuren etc. für die Energiewende auf. Da der Transportsektor weltweit etwa 20 % der Energie verbraucht, muss die Logistik einen wesentlichen Beitrag leisten und sich die Frage nach ihrer zukünftigen Rolle stellen.
Irrtum
Die frühesten Energiequellen der Menschen waren Holz- oder Holzkohlefeuer zum Kochen und Flüsse zum Flössen. Die Erfindung des Rades ermöglichte den Bau von Wassermühlen und Antrieben für Vorrichtungen und Werkzeuge. Die Kohle beförderte den Siegeszug von Dampfmaschinen, und Öl und Gas ermöglichten die Luft- und Raumfahrt. Die Nutzung immer höherwertigen Energiequellen beschleunigte die Entwicklung immer grösserer und leistungsfähigerer Maschinen und Anlagen, deren schlechter Wirkungsgrad der Faszination der Technik angesichts vermeintlich unerschöpflicher Energiereserven keinen Abbruch tun konnte. Technik, insbesondere technische Grossanlagen, schienen der Natur überlegen und für den Wohlstand unverzichtbar. Dieser Glaube beruht auf zwei weitgehend unbestrittenen Annahmen:
– Die Welt läuft in zweckgerichteten, geordneten und berechenbaren Bahnen.
– Wohlstand bedeutet die Erfüllung möglichst vieler menschlicher Bedürfnisse.
Zweifel
Was, wenn die Welt den Prinzipien der Meta-Mechanik folgt und die Evolution über Versuch und Irrtum ähnlich erratische Ergebnisse erzeugt wie veränderliche Tinguely-Maschinen?
Was, wenn das Auftauchen schwarzer Schwäne, obwohl statistisch gesehen ebenso wahrscheinlich wie irgendein anderes Ereignis, als Abnormalität betrachtet wird, weil das im Vergleich zum Universum marginale Zeitalter der Menschheit das Erkennen langzeitlicher Muster verhindert?
Was, wenn die Umwelt nicht dem für die Wirtschaftswissenschaften so wichtigen Nutzen dienen kann, weil sie die grenzenlosen Vorstellungen der Wunschmaschine «Gehirn» nicht erfüllen kann?
Was, wenn der Mensch durch seine Technik die Weltmaschine zu unerwarteten Reaktionen veranlasst, die wie vom Himmel gefallene Asteroiden als Polykrisen missverstanden werden statt als «normales» konstruktionsbedingtes Verhalten?
Was, wenn die Weltmaschine sich auch ohne die vermuteten Triggerpunkte unberechenbar verhält?
Das Selbsteingeständnis des Menschen, als Teil seiner Welt diese nicht verstehen oder gar beherrschen zu können, sondern trotz eines hochentwickelten Gehirns nur die ihm zugewiesene Rolle auszufüllen zu können wie alle anderen Organismen, eröffnet ungeahnte Perspektiven. Im Wissen um die spielerische Lernfähigkeit des frühkindlichen Gehirns und seine Konditionierung durch Erziehung sollten wir Versuch und Irrtum wieder mehr Raum geben. Kann die Rechenleistung von Künstlicher Intelligenz dem Menschen nicht helfen, sich dem Verständnis der Weltmaschine anzunähern und anzupassen? Ist es begreiflich, dass die räumliche Orientierung von Digital Natives auch im digitalen Raum problemlos funktioniert, obwohl dieser in der Natur keine Rolle spielt? Ist die Vorstellung eines digitalen Zwillings der Erde absurd und ist nicht vielmehr die Vision des Metaverse ein evolutionärer Glücksfall, in dem Menschen extreme Bedürfnisse wie beispielsweise den Massentourismus ausserhalb der realen Welt befriedigen können?
Akzeptanz
Was bedeutet die Akzeptanz solch einer ungewohnten Sichtweise? Der Titel «Verantwortungsbewusstes Handeln – Energiewende in der Logistik» gewinnt bei der Entwicklung von Handlungsoptionen damit an Bedeutung. Verantwortung heisst, sich seiner Taten und ihrer Folgen bewusst zu sein und sich dafür anderen wie sich selbst gegenüber rechtfertigen zu können. Solange die Logistik bei Beschaffung, Produktion und Absatz die dienende Funktion eines Erfüllungsgehilfen übernimmt, beschränkt sich ihr Einfluss auf den Energieverbrauch hauptsächlich auf die Wahl des Treibstoffes und die sparsame Verwendung beim Gütertransport. Fragt man sich aber, wie künftig das energetische Gleichgewicht der Erde erhalten werden kann, eröffnen sich der Logistik neben der Unterstützung der Kreislaufwirtschaft (Zyklistik) als neues Arbeitsgebiet die Unterstützung der Stoff- und Energieumwandlung (Energistik) durch innovative Verknüpfung von Naturwissenschaft und Technik.
Einsicht
Der Irrweg in die Klimakrise begann damit, dass weder die auf die Erde einwirkende Sonnenstrahlung, die den menschlichen Energiebedarf mehr als tausendfach übertrifft, als Energiequelle ausreichend genutzt wurde noch die Vorteile organischer Stoffwechsel, mittels derer Organismen ihre Lebensenergie aus Sonnenlicht gewinnen. Beide Aspekte werden im Folgenden näher betrachtet.
Stoff- und Energieumwandlung
Die Erde als geschlossenes System bezüglich Materie, aber offenes System bezüglich Energie ermöglicht die Existenz von Ökosystemen. Die sukzessive Umwandlung von Energie in Materie, von Materie in Materie, von Materie in Energie und von Energie in Energie bestehenden Stoff- und Energiekreisläufe hat mit der Zeit ein dynamisches Gleichgewicht der verschiedenen Ökosysteme entstehen lassen, das langsame Störungen wie Klimaveränderungen problemlos ausregeln kann, wegen seiner Trägheit bei schnellen Störungen wie Vulkanausbrüchen oder Asteroideneinschlägen aber den Regelbereich verlassen und kippen kann. Derartige Störungen können auch auftreten, wenn in fossilen Energieträgern gebundene Energie schlagartig freigesetzt werden und durch technische Erfindungen, deren Wirkungsgrad im Vergleich zu Organismen deutlich schlechter ist.
Ökosysteme
Stoff- und Energiekreisläufe in Ökosystemen funktionieren quasi verlustfrei, da Organismen für die Beschaffung der lebensnotwendigen Energiequellen (Nahrung) sogar bei weiten Wanderungen gerade so viel Energie verbrauchen, wie sie aus deren Ausbeutung gewinnen. Vernünftiger-weise sollte der Mensch seinen Energiehunger zügeln und ihn vermehrt mit Hilfe modifizierter natürlicher Stoffwechsel prozesse wie Assimilation und Dissimilation zu decken versuchen, die auch eine Zwischenspeicherung für Zeiten des Mangels ermöglichen.
Energiebilanz
Natürliche Organismen auf der Erde sind in der Lage, ihren lebensnotwendigen Energiebedarf ohne den Rückgriff auf fossile Ressourcen aus nachhaltigen Energiequellen zu decken. Der Mensch hat Methoden entwickelt, um Mangelzeiten zu überwinden und Ressourcen praktisch überall und jederzeit verfügbar zu machen. Die Logistik schuf immer umfangreichere Transportnetzwerke für immer mehr Menschen und beseitigte Engpässe, welche die Deckung der Nachfrage behinderten. Lässt sich mit Engpässen nicht die Nachfrage steuern, wie verkehrspolitische Massnahmen in gewissen Grossstädten vermuten lassen?
Energistik
Die Erreichung des Ziels, die rechte Ware zur rechten Zeit am rechten Ort zu den rechten Kosten bereitzustellen, erfordert zur Bereitstellung von Material für die Erzeugung, Verwendung und Entsorgung von Gütern (Transformation) die Überwindung von Distanzen (Translation). Analysen des Energiebedarfs nach Sektoren in einem modernen Industrieland wie Deutschland zeigen, dass Industrie, Verkehr und Haushalte jeweils annähernd 30 % der Energie verbrauchen, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen hingegen nur den Rest von rund 10 %. Erweitert man den Gegenstand der Transformation um Daten als Repräsentanten von Dienstleistungen, was angesichts additiver Fertigungsverfahren und Digitalisierung bis hin zum Finanzsektor Sinn macht, und berücksichtigt man, dass der Austausch von Gütern zu Gunsten des Austausches von Dienstleistungen weltweit an Bedeutung verliert und damit der Energieverbrauch des Datentransportes zu Lasten des Gütertransportes steigt, erweist sich die Energistik als logische Konsequenz. Die interdisziplinäre Gestaltung des Zusammenspiels von Material und Energie bei Transformation und Translation ähnelt zwar auf den ersten Blick der Logistik, weist bei näherem Hinsehen allerdings zwei gravierende Unterschiede dazu auf:
– Treiber von Transformation und Translation zu sein statt Erfüllungsgehilfe für Transformation.
– Minimierung von Energieverbrauch statt Kosten, d.h. die rechte Ware zur rechten Zeit am rechten Ort mit dem rechten Energieverbrauch bereitzustellen.
Translation
Der Energiebedarf von Verkehrsarten wird mit Hilfe von vier Dimensionen beschrieben und verglichen:
– Verkehrsträger: Schaffung von Knoten (z.B. Häfen) und Kanten (z.B. Schienen) der Infrastruktur
– Verkehrsmittel: Erzeugung von Flüssen ohne (z.B. Pipeline) oder mit Behälter (z.B. Tankwagen)
– Entfernung: Abstand zwischen Quelle und Senke von Flüssen
– Geschwindigkeit: Fliessgeschwindigkeit des Mediums bzw. Behälters
Während Verkehrsträger und Verkehrsmittel den Material- und Energiebedarf beeinflussen, wirken sich Distanz und Geschwindigkeit vor allem auf den Energiebedarf aus.
Stellt man verschiedene Verkehrsarten wie Schiff, Flugzeug, Kraftwagen, Bahn, Leitung (kontinuierlicher Transport von Strom, Öl, Gas etc.) und Band (diskontinuierlicher Transport von Behältern etc.) in einem Spinnennetzdiagramm dar, repräsentieren die aufgespannten Flächen ansatzweise den jeweils mit der Erstellung und dem Betrieb verbundenen Energiebedarf bzw. die damit verbundenen Aufwand, der als zu minimierende bzw. optimierende Zielgrösse dienen kann.
Auf eine Bemassung des Energieverbrauchs in den vier Dimensionsachsen wurde verzichtet, da bei dieser eher grundsätzlichen Darstellung qualitativer Art die vom Autor grob geschätzten Durchschnittswerte grosse Bandbreiten umfassen und echte Daten in diesem Bereich kaum verfügbar sind. Dies scheint erstaunlich angesichts des Umstandes, dass ökonomische Daten wie z.B. verursachergerechte Verkehrskosten in grossem Umfang erhoben werden, obwohl etwas wie der ökonomische Nutzen von Freizeitausflügen für Touristen eine fiktive Grösse ist und nicht einmal direkt, sondern nur indirekt über dank Erholung erhöhte Arbeitsproduktivität gemessen werden kann. Zur erfolgreichen Umsetzung der Energiewende ist es dringend erforderlich, mehr Stoff- und Energiebilanzen zu erstellen und analysieren. Die zur Erstellung von Netzwerkkanten (Infrastruktur) erforderliche Energie ist proportional zur Länge. Die Strömungsverluste in Netzwerkflüssen sind proportional zur Länge und Geschwindigkeit, wobei der Strömungswiderstand quadratisch mit der Geschwindigkeit steigt. Um nun Ware zur rechten Zeit am rechten Ort bereitzustellen, lässt sich die dafür erforderliche Geschwindigkeit durch zwei einfache Massnahmen reduzieren: einerseits durch Verkürzung der Distanz zwischen Quelle und Senke und andererseits durch Verkürzung des Zeitraumes zwischen Planungsentscheid und Ausführung (Transport). Die Umsetzung dieser einleuchtenden Erkenntnis stösst in der Praxis leider oft auf Widerstand, den es aufzulösen gilt. Zeit, die mit schnellerem Transport gewonnen wird, geht nämlich grösstenteils wieder verloren durch Verzögerungen bei der Entscheidfindung: Transporte werden umso später angestossen, je schneller sie das Ziel termingerecht erreichen können. Ausserdem verhindert das bekannte Motto «Zeit ist Geld» die Akzeptanz von Bestandes- und Zeitpuffern als angemessene Kompensationsmassnahme für Planung und Entscheidung bei Unsicherheit, die den Energiebedarf für Lagerplatz kaum, die allseits geforderte Planungssicherheit in der komplexen Welt aber deutlich steigern würde.
Da beim Transport der Energieverbrauch nicht nur von der Höhe der Geschwindigkeit, sondern auch von deren Konstanz abhängen, ist eine möglichst gleichförmig tiefe Geschwindigkeit erstrebenswert. Um die für das Umladen unverzichtbar erscheinende Stopps zu vermeiden, könnte man Paternoster, Wassereimerkette, Luftbetankung und Magnetbahn konzeptionell kombinieren, wie in Abbildung 2 skizziert.
Das auf der Maglev-Technologie basierende Konzept des SwissRapide Express Central kann auf die für Cargo Sous Terrain vorgesehene Geschwindigkeit reduziert werden, was ein Vakuum entbehrlich macht. Die mit konstanter Geschwindigkeit umlaufenden Transportfahrzeuge haben oben ein Drehgelenk mit Führungsschienen für verschiebbare Transportbehälter. Die Form der kettengliederartigen Fahrschleifen erlaubt es, abgebende und aufnehmende Transportfahrzeuge für die Übergabe von Transportbehältern an Umladestationen zu synchronisieren und dank Drehgelenken kurzzeitig quasi parallel zu führen. Die Transportnetze erfordern auf langen Strecken zwar zusätzliche Umladungen, können aber wie in Stromnetzen lokale Störungen mittels Umleitung kompensieren.
Transformation
Aktuell versteht man unter Energiemanagement häufig die Erfassung und Analyse des Verbrauchs, das Identifizieren von Sparpotenzialen und die Steigerung der Energieeffizienz mit geeigneten Massnahmen. Dieses Verständnis beschränkt sich allerdings auf operative Aspekte und vernachlässigt eine strategische Sicht, die weit grössere Potenziale birgt. Diese liegen darin, dass die gemeinsame Betrachtung von Material- und Energieflüssen und -umwandlungen in Stadt- und Raumplanungskonzepte einfliesst, wie in Abbildung 3 veranschaulicht. Durch die räumliche Nähe zwischen Gebäuden und zur Erzeugung, Umwandlung, Speicherung, Weiterleitung und Nutzung von Energie geeigneten Anlagen und Einrichtungen lassen sich technische Synergien erzielen ähnlich denen in natürlichen Symbiosen zwischen Organismen.
Angesichts des Klimawandels stellt sich die Frage, ob Wohnen und Arbeiten in Höhlen oder unter der Erde nicht vorteilhafter ist als immer mehr in die Höhe zu streben. Die relativ konstante und gut verträgliche Temperatur in solchen Räumen erfordert nicht nur weniger Heizung und Kühlung, sondern kann auch Erdbeben, Stürmen, Explosionen, Feuer und Strahlung besser widerstehen. Ausserdem verringert sich der Abstand zu geothermischen Energiequellen sowie zu wasser- und sandbasierten Wärmespeichern, die auch von oberirdischen Wind- und Solaranlagen, thermischen Anlagen, Biogasanlagen usw. gespeist werden.
Ausblick
Zwar gibt es heute Energiequellen, in allen möglichen Bereichen eine Vielzahl erfolgreicher oder erfolgversprechender Ansätze zur Rückgewinnung und Nutzung verborgener oder vernachlässigter Energiequellen, aber noch fehlen ganzheitliche und systemische Ansätze für die Betrachtung und Behandlung. Dies eröffnet Höheren Fachschulen wie der ABB Technikerschule interessante Zukunftsperspektiven.
Autor: Dieter Wintergerst, dipl. Ing., dipl. Oec., ehemaliger Dozent Bildungsgang Prozesstechnik HF Schwerpunkt Internationale Logistik, ABB Technikerschule
Abbildung 1: Verkehrsarten zu Wasser, zu Land und in der Luft (Quelle: Dieter Wintergerst)
Abbildung 2: Transportsystem mit dynamischer Be- und Entladungsvorrichtung (Quelle: Dieter Wintergerst)
Abbildung 3: Energieeffiziente Anordungsplanung von Gebäuden und Anlagen (Quelle: Dieter Wintergerst)